“Wir sind auf einer Clubbühne, nicht auf einem Podium”

Ein Konzert in Köln, ein Gespräch im Hinterzimmer, ein Interview mit den Türen.

Die Türen – Darlings eines speziellen Menschschlags. Oder? Es gehört schon echtes Interesse dazu, das gut zu finden: Interesse an den Verhältnissen, an Politik im weiteren Sinne. Dazu ist ein Humorverständnis hilfreich, das sich gelegentlich an Ecken und Kanten reibt. Albernheiten, Gitarrenfunk, rocken auf den Barrikaden und demonstrieren für Mindestliebe und Freizeit – die Türen machen, was und weil sie es können. Man darf sich das Kunstwerk, in das die Türen selbst sich verwandelt haben, vorstellen als einen in sich geschlossenen, trigonalen Raum; geht man durch eine Tür, steht man vor der nächsten. Und ist man einmal durch alle drei Bandmitglieder gelaufen, befindet man sich wieder am Anfang. Einer Katze gleich, die sich in den Schwanz beißt, einer Schlange, die sich selbst verschlingt.

Im Moment sind die Türen mit ihrem neuen Album “abcdefghijklmnopqrstuvwxyz” unterwegs. Ist es ein Rätsel mit nicht sieben Siegeln, sondern 26 Buchstaben? Macht das Spaß? Kann man leben von diesem Musik-Ding mit Augenzwinkern und lustvoller Empörung? Sind sie schon bei ALG II oder singen sie noch nur davon? Sollte man sich als Kulturschaffender vielleicht einfach kaufen lassen? LAWINE brannten so viele Fragen unter den Nägeln. Da kam es, wie es kommen musste: Wir besprachen uns mit Sänger Maurice Summen.

“Ein Lebensentwurf, der überleben lässt”

Heute Abend: Konzert in Köln, das King Georg in der Nordstadt das Ziel. Seine Umdekoration vom Lustlokal zur Kneipe hat es zum Schauplatz intimer Gigs gemacht. Die Instrumente sind aufgebaut, der Laden voll. Das ist erfreulich für Stimmung und Band, aber so schwer dann doch nicht zu schaffen: Sehr eng ist es hier. An der von Stripperstangen gesäumten Tanzfläche vorbei steigen wir die Stufen herab ins Parterre. Wir haben es eilig, in einer Viertelstunde soll es losgehen, und schon eine Stunde später wird oben der Strom abgestellt. Der Frieden mit den Anwohnern will es so. Im kleinen Raum unten, in dem wir uns wiederfinden, ist die Zeit stehen geblieben – das wird wohl früher das Ankleide- oder vielmehr Auskleidezimmer gewesen sein. Maurice, reden wir mal.

Band-Sponsoring: “Denen fehlt im Augenblick nur die Kompetenz”

Am Anfang steht das Geld. Klar ist, dass sich Musik 2012 in vielen Fällen nicht mehr einfach so finanzieren lässt. Maurice fällt dazu der Vergleich mit dem Radsport ein – dort werden die Teams von Sponsoren unterstützt, sind in der Namensgebung sogar untrennbar mit ihnen verbunden: Team Telekom und wie die anderen alle heißen. Da wundere man sich, warum das in der Musikbranche nicht schon weit(er) um sich gegriffen habe, das Potential sei schließlich da. Wer da mehr von wem profitiert, die Band vom Sponsoring oder das große Unternehmen vom aufpolierten Image und Coolness-Gewinn, den ein derartiges Engagement erzielen soll? Für den Sänger der Türen eine schwierige Rechnung. Im Zweifel verliere in jener Kalkulation aber der Künstler. Die Türen wissen, wo sie stehen.

Und spielen ein bisschen mit. Als “spielerischen Umgang mit dem Ganzem” und “der Versuch, künstlerisch dieses Branding, in dem man sich bewegt, zu verarbeiten” geht dann auch die Promoaktion zur aktuellen Veröffentlichung durch. Dabei konnten die Türen “Buchstaben-Paten” gewinnen, die sich als Sponsoren für das Album dann auf Postern gedruckt wiederfanden, einmal das Alphabet durch.

“Es gibt Leute, die andere Qualitäten haben”

Identifikation ist gar nicht so einfach. “Wir nehmen uns die Themen mit einer gewissen Lebensfreude” – das klingt angenehm unangestrengt, und so hört sich die aktuelle Platte auch an. Aber was bleibt ist das Statement, nämlich “kein großer Fan der Leistungsgesellschaft” zu sein. Und gleichzeitig kein Mitglied einer anderen Gesellschaft: derer, die immer dagegen ist. Es klingt zumindest so, wenn man mal genauer hinhört. Die Texte brechen sich in allen Texten, und so wollen die Türen auch nicht, dass man für sie auf die Straße geht. Widerstand ist das eine, den Soundtrack für eine Generation zu sein, das andere: Kritische Geister sollen zusammen Party feiern. Denn langweilig und vorhersehbarer Protest an den Zuständen, den sollen bitteschön die anderen machen.

Von den Uniformierten zum Unformatierten. “Abc” ist nämlich in erster Linie ein Plädoyer für “mehr”: mehr Spaß, mehr Liebe (Songzeile: “Ich will keinen Mindestlohn, ich will Mindestliebe”), mehr Individualität, mehr Zeit. So ist sind auch die elf Minuten zu erklären, die sich der Opener der aktuellen Platte nimmt: “Es ging um den Faktor Zeit und um dieses Unformatierte. Du hast nur noch dieses Hit-Hit-Hit-Struktur. Um das mal wieder zu brechen!” Das scheint anzukommen, sogar und vielleicht erst recht live. Maurice berichtet davon, dass sich das Publikum darüber freue, dass die Band der Improvisation einen Platz einräumt. Ohne Maschinen, ohne Playback. Ein Statement, mit dem der Abend gleich auch eröffnet werden wird. Oben wartet das King Georg, wir nähern uns dem Ende. Moment für abschließende Worte, eine letzte Erklärung. Ist das Album ein Schrei nach Liebe, Gesellschaftskritik, ein rätselhaftes Manifest?

“Das Album will gehört werden und Leute zusammenführen. Um die Begegnung, die auf der Tour stattfindet, geht es. Wenn das Leute in ihr Leben und auf andere Parties tragen, dann ist das super.” Fünf Minuten später geht die Party oben los. Wir tanzen den Tanz.

Sven Job