Die Presse-Kolumne: Winterzeit ist Lesezeit. Wir testen, was man so lesen kann: die Guten, die Schlechten & die Abseitigen.
Nun also regelmäßig: der Streifzug durch den Pressedickicht. Das letzte Mal noch war es die DUMMY: politisch, relevant, manchmal zum Schreien komisch und immer am rechten Fleck. Dieses Mal ist es eigentlich genauso. Wir laden Dich, lieben Leser, ein, uns zu folgen. Heute lassen wir die Gefühle sprechen.
“Meine Schuld” erscheint monatlich im Martin Kelter Verlag. Hier hat man sich ganz auf die Sehnsüchte und Wünsche seiner Klientel eingestellt. Daran lassen übrigens auch die anderen Veröffentlichungen dieses illustren Hauses keinen Zweifel: “Meine Lebenslüge”, “Meine Liebesbeichte”, “Mein Gewissen”, “Meine Sehnsucht”. Mein mein mein. Presse für die Ich-Gesellschaft unserer kalten Zeit also? No, Sir!
Es geht um großen Emotionen. Da kann sich jeder wiederfinden. Der Untertitel von “Meine Schuld” spricht es ganz unverblümt aus – “Was Frauen berichten: schonungslos – indiskret”. Das Magazin hat der unbescholtene Rezensent an der Tankstelle aufgegriffen. Wer daraus entsprechende Schlüsse zieht, liegt falsch. Es geht nicht um Sex, es geht um das, was übrig bleibt, nachdem man Sex abstrahiert hat: um Geständnisse und Familiendramen, Vertraulichkeiten, Empörungen und Hilferufe in gedruckter Form. Das rüttelt auf, das ist echt und geht uns alle an. Das Angebot richtet sich an Aufsichtsratvorsitzende und Erstsemester (Studienfach Zahnmedizin), Friedhofsgärtner und Konditorinnen, Busfahrer und Meteorologinnen gleichermaßen: Lebenshilfe.
Lebenshilfe in allen Lagen, das ist das Konzept. Wir alle sehnen uns nach Liebe, Harmonie und sind wir mal ehrlich, auch ein bisschen nach Nervenkitzel. In unseren dunkelsten Stunden vielleicht sogar nach Rätselspaß. Stichwort “dunkle Stunden”: In Heft 12/2011 geht es bunt zu. Eine verzweifelte Frau wird von einem Mitarbeiter des Jugendamtes erpresst und genötigt, einer Tochter fehlt ein Stück ihrer Seele. Es wird die Problematik der Fernbeziehung thematisiert. Das alles in Geschichten, die auf den Punkt und ausführlich zugleich erzählt werden. Das bietet Identifikationspotential, Orientierung und Zerstreuung. Ein Magazin, das weiß was es will, für Leser, die wissen was sie wollen. Breitseite.
Layout-technisch geht es unaufgeregt zu. Ist doch auch besser so! Überwiegend in schwarz-weiß gehalten, wissen sich die Visuals dem Inhalt unterzuordnen. Ist das nicht die Grundregel, wenn es darum geht, ein ansprechendes Magazin zu machen?
Warum soll ich das lesen?
Der eigenen Mutter mit diesem Heft auf Augenhöhe begegnen. Endlich gibt es wieder etwas, worüber man miteinander reden kann.
Risiken und Nebenwirkungen
Realitätsverlust. Angstzustände. Sudoku.
> Präsenz des Martin Kelter Verlags
Sven Job