Jens-Peter Schliemann erfindet Brettspiele und macht die Welt damit etwas erträglicher.
Die projektive Ebene der Ordnung 2, ein mathematisches Gesetz, verbinden wohl die wenigsten mit geselligem Spielspaß. Jens-Peter Schliemann aber entwickelte, basierend auf dieser mathematischen Gesetzmäßigkeit, das Spiel “Fire and Ice”. Nachdem ein thailändischer Verlag das Spiel in sein Programm aufgenommen hat, wird es weltweit gespielt, unter anderem auch in Saudi-Arabien. Als studierter Mathematiker erfindet Schliemann seit fast zwei Jahrzehnten Brettspiele und ist mit seinem “SpieleErfinderStudio” seit einigen Jahren in Köln ansässig. Zu Besuch bei einem, der die Welt spielerisch verbessern will.
Schweiß und Abhärtung
In dem kleinen Laden steht die Luft. Obwohl es heiß ist, muss die Tür geschlossen werden. Bei dem Baulärm, der von der Straße kommt, versteht man sonst sein eigenes Wort nicht. Doch die Hitze macht Schliemann zurzeit nichts aus. Ob man schon von Hot Yoga gehört habe? Hat man nicht. “Yoga bei 40 °C Raumtemperatur und hoher Luftfeuchtigkeit. Das härtet ab. Wäre doch auch mal was für eine Reportage”, so Schliemann. Da hat er recht, wird gleich notiert. Aber heute wollen wir uns über Spiele unterhalten. Eines hat Schliemann schon in der Mitte des Tisches aufgebaut: “Burg Appenzell”. Hier bewegen sich die Spielfiguren, bunte Mäuse mit riesigen Augen, auf einem verschiebbaren Spielfeld, um verschiedene Käsesorten zu sammeln. Schliemann entwickelt hauptsächlich Kinderspiele, meist in Zusammenarbeit mit anderen Autoren. Seine Spiele heißen dann “Piranha Pedro”, “Das große Kullern” oder “Nacht der Magier”.
“Am Anfang meiner Erfindungen steht immer ein spielerischer Kern, ein ganz bestimmtes Phänomen. Bei ‘Nacht der Magier’”, Schliemann zeigt auf das Regal hinter sich, “war es das Leuchten des Spielbretts und der Figuren”. Das Spiel lässt sich nur im lichtlosen Raum spielen und ist vor allem in Skandinavien beliebt, wegen der langen und dunklen Wintermonate, die dort herrschen. Der Weg von einer Grundidee bis zu einem fertigen Spiel ist jedoch lang und beschwerlich. Mitunter ist ein Spiel fünf Jahre lang in der Entwicklungsphase. Schliemann berichtet von langen Testphasen, Krisen, Verwerfungen und mühsamen Zeiten, in denen alles wieder neu erdacht werden muss. Der “Aspekt der Zerstörung” sei ein nicht unwesentlicher. Genau wie ein Maler oder Bildhauer scheint auch ein Spieleautor mit seiner Kunst zu ringen. Neben den 20 Spielen, die Schliemann schon veröffentlicht hat, stehen nach eigener Schätzung 70-80 Entwicklungsansätze. “Kreativität heißt immer auch in Sackgassen rennen”, konstatiert Schliemann.
Spiel des Lebens
Während des Gesprächs spricht Schliemann häufig vom “Dazwischen”, das er auch mit seinen Spielen thematisieren will. Feste Kategorien und sprachliche Festlegungen mag er nicht. Seinen Auftrag als Spieleautor sieht er in der Kultivierung von Interaktionen und dem Umgang mit der Ungewissheit. Glaubt Schliemann, dass die Welt ohne Spiele eine schlechtere wäre? Die Freiwilligkeit, sich mit Regelsystemen auseinanderzusetzen, und der Spaß, der dabei entstehen kann, sind für Schliemann entscheidend. Auch in der Politik und der Wirtschaft könne diese Kraft der Spiele genutzt werden. Die Gesetzmäßigkeit als Lustfaktor und Antrieb. Man kann sich Schliemann in diesem Moment auch hervorragend als Mathelehrer vorstellen, der einen müden Leistungskurs mit einer leidenschaftlichen Rede für seine Materie begeistern will. Tatsächlich kooperiert er mit dem Institut für deutsche Wirtschaft, um Schüler spielerisch auf die Wirtschaftswelt vorzubereiten. “Ich möchte so etwas Flüchtiges wie Geselligkeit in eine Kulturform bringen”, führt Schliemann später noch an und plötzlich wird einem klar, dass in diesem kleinen Studio viel mehr entstehen kann als ein Brettspiel mit Mäusefiguren oder leuchtenden Spielsteinen. Hier arbeitet jemand an einer besseren Gesellschaft.
Florian Tomaszewski