Sleigh Bells mit “Reign of Terror”, die Ting Tings mit “Sounds From Nowheresville”. Liebe ist die Antwort.
Romantik ist überall. Oder ist alles nur Business? Ein Gedanke, der LAWINE komplett fremd ist. Heute untersuchen wir das Treiben aufgeschlossener Pärchen, die sich sehr erfolgreich im Musikgewerbe herumtreiben. Irgendwo zwischen sexueller Anziehung, Abscheu und ganz natürlicher geschäftlicher Beziehung, wie sie im Musikgeschäft üblich ist, bewegen sich die Duos, die wir beleuchten. Alexis Krauss und Derek Miller. Katie White und Jules de Martino.
Im Moment sind da Sleigh Bells. Sie trägt Lederjacke, er den Skater mit Nirvana-Motiv auf der Brust. Beide haben den starken Zug zum Erfolg. Es muss so sein, sie wollen es so, probieren wir mal! Und was noch dazu gehört: laut ist laut. Vielleicht geht es noch lauter, denn schon das Leben ist laut. Hier lautet das Credo: Unsere Beziehung ist laut, wir machen sie so ohrenbetäubend, dass wir uns selbst nicht mehr hören. Sleigh Bells repräsentieren dieses Pärchen-Prinzip. Es ist ganz einfach. Vieles fällt dann leichter: miteinander klar kommen, Konflikte werden übertönt. Verdrängung als Prinzip; das ist “Reign of Terror”.
Sofort geil, sofort verstanden. Sind denn alle durch, oder ist das ganz Land durch? Was es da zu hören gibt auf “Reign of Terror”, lässt daran denken: Noise-Pop, Dirt und Melodien, Zorn und Spaß. Jedenfalls geht es ihnen gut. Ist das Leben gut? Lieben wir uns, platonisch, pathetisch? Wo haben wir uns morgen mit unser neuen Single platziert? Das sind die Fragen, die wir alle stellen. Morgen ist Bühne, was ist heute morgen?
In “Comeback Kid” regiert der Wahnsinn in typisch amerikanischen Bildern. Der Sound schreit partytauglich nach Crunk, nach Lil’ Jon und Konsorten. Trotzdem bleibt er sympathisch: das liegt vielleicht an der Präsenz von Sängerin Alexis Krauss. Mit kindlicher Freude springt sie schon in den ersten Sekunden des Promo-Videos auf einem Hotelbett herum – mit Jagdgewehr in der Hand. Sehen so die Flitterwochen junger Amerikaner aus – attraktiv, talentiert, erfolgreich und bewaffnet? Darf es Liebe sein? Und wenn es doch ein rein professionelles Verhältnis zwischen den beiden ist, das den Namen Sleigh Bells trägt – müssten die Flitterwochen dann mit der zweiten Platte nun nicht schon vorbei sein?
Put your leatherjacket where your mouth is
The Ting Tings haben den Krach schon hinter sich. Nach fabulösen ersten Singles (Top Spots und weltweiter Ruhm mit “That’s Not My Name” und “Shut Up And Let Me Go”) ist dann erst mal das Hochzeitsgeschirr zu Bruch gegangen. Als der Nachfolger schon aufgenommen war, entschlossen sich beide zum radikalen Schnitt. Noch mal von vorne anfangen, (fast) alle Aufnahmen in den Müll.
Erschienen ist nach fast vier Jahren, die wie eine Ewigkeit scheinen, nun “Sounds From Nowheresville”. Die Zweifel sind immer noch da. Katie White reflektiert den so plötzlichen wie absurden Erfolg, der die Ting Tings 2008 überfiel (“I found myself at No. 1″), aber vielleicht geht es doch wieder nur um das eine – die Liebe natürlich. Des Weiteren trällert die 29-Jährige trotzig über Glück und Unglück. Erwartungshaltungen von allen Seiten – sie antworten mit einem Eingangsriff, das stark an Nirvana erinnert (“Hang It Up”). Im echten Leben wäre das schöne Mädchen mit dunklen Typen davon gelaufen, um den Eltern den Mittelfinger zu zeigen. Ist die Musik auf “Sounds From Nowheresville” (mehr Gitarren, weniger Werbung für Fanta) die Metapher für diesen rebellischen Akt?
Eher nicht. Pop bleibt Pop. Wie ist es bei Sleigh Bells, die im Video zu “Comeback Kid” ein schönes Klischee an das nächste hängen? Höhepunkt ist ein Bild, in dem Krauss und Miller in Ledermontur und Gitarre – einkaufen gehen. Wegrennen bringt nichts. Oder: Es ist schön, wie es ist. Morgen zu essen haben wollen wir trotzdem etwas. Es bleibt die romantische Idee, Rock auch 2012 noch leben zu können. Wenn die beiden sich Blicke zuwerfen, ganz kurze nur, sind die beiden ein Paar. Alexis Krauss und Derek Miller. Katie White und Jules de Martino. Eine ebenso bescheuerte Idee; romantisch eben. Und morgen? Startet die Tour durch Frankreich, verdammte Scheiße.
Sven Job