Deine Stadt, ein Blumenbeet

© Stephanie Wolff

LAWINE auf Auslandseinsatz – in der Weltmetropole London haben wir nach den kleinen Dingen Ausschau gehalten. „Pothole Gardening” ist eine etwas andere Form des Guerilla Gardening. Initiator Steve Wheen erklärt uns, was dahinter steckt. London ist eine Stadt der Attraktionen. Das gilt für den Touristen, der von der Metropole zunächst überwältigt ist – von Pracht und Größe, von ihrer ethnischen und kulturellen Vielfalt, gleichzeitig von ihrem Tempo und Hektik. Aber auch der echte Londoner kann einem aus dem Stand eine Handvoll Dinge nennen, die seine Stadt so lebenswert und außergewöhnlich machen. Und wenn man dieser Tage einen auf diese Dinge anspricht, kann es gut sein, dass man dabei nicht auf die bevorstehenden Olympischen Spiele zu sprechen kommt, nicht auf die Ausstellung von Damien Hirst in der Tate Modern. Sondern dass wir gemeinsam den Blick nach unten senken, in die Rinnsale und Bordsteinpflaster der Stadt.


Ein Büschel Krokusse oder ein Tulpen-Arrangement, das Ganze platziert auf einer Handfläche englischen Rasens – eigentlich ist es ganz einfach, seine Umgebung zu verschönern. Man muss nur auf die Lücken achten. Da, wo die Stadt aufbricht, springt„Pothole Gardening” ein: in seinen Schlaglöchern. Ich treffe mich mit Steve Wheen, der diese Form der Stadtverschönerung nicht erfunden, aber populär gemacht hat.

In der Filiale einer großen Kaffeekette sitzen wir zusammen. Steve hat heute frei, oder besser gesagt, er arbeitet von zu Hause aus. Das Unternehmen, bei dem Steve als Informatiker angestellt ist, hat ihn nach Hause geschickt. Kein Problem, so bleibt Zeit, um die nächsten Garten-Projekte zu planen. Und für ein klärendes Gespräch – was ist „Pothole Gardening”?

Lass den grünen Daumen sprechen

Es geht darum, London etwas von seiner Schönheit abzuringen, die im urbanen Getöse manchmal etwas untergeht. London ist eine Stadt, die sich jeden Tag aufs Neue gegen den Verkehrskollaps stemmt – daran haben auch der Ausbau der Infrastruktur und Einführung einer Stadtmaut wenig geändert. Nach Schlaglöchern muss man hier nicht lange suchen. Steve Wheen tut genau das – er sucht nach geeigneten Plätzchen für seine Blumenbeete in Miniaturform und findet sie auf Bürgersteigen und weniger frequentierten Seitenstraßen. Was dabei herauskommt, ist pittoresk oder niedlich, in den meisten Fällen jedenfalls: auffällig. Manche würde sogar behaupten: politisch. Subversiv?

Es sind die Reaktionen seines (potentiellen) Publikums, die ihn interessieren, also der Millionen Londoner Passanten, die auf ihrem täglichen Weg diesen grünen Installationen „über den Weg laufen”. Was jene daraus machen, ist ihnen überlassen – nur zum Nachdenken soll das „Pothole Gardening” anregen: „Manche Menschen halten sie für kleine Mahnmale für Verkehrstote, wie man sie am Straßenrand findet. Andere sehen darin eine starke ökologische Aussage. Einige finden das alles einfach nur furchtbar.” Oder gefährlich – auch wenn über die Blümchen kaum einer stolpert. Es geht um den Effekt. Von einer subversiven Aktion wie beim Guerilla Gardening will Steve nicht sprechen. Sein Ziel ist die Stadt, die er bewohnt, zu verschönern. Und wenn auch nur für fünf Minuten: Manche nehmen die Blumen an sich, andere laufen drüber. Jeder reagiere anders, doch überwiegend positiv. Und im YouTube-Video „Holes of Happiness”, das viele dieser Reaktionen wiedergibt, sei zu sehen, wie ein Busfahrer anhielt, um eines dieser Projekte mitzunehmen. Als er dann die Film-Crew sah, überlegte er es sich anders. Einen Garten hat Steve, wie viele andere Londoner, nicht. Er macht gewissermaßen die Stadt zu seinem Garten: „Meine Mini-Gärten sind klein, aber sie haben eine viel größere Wirkung.”

„Ein Garten gehört zum Leben einfach dazu”

Müssen wir umdenken, was urbanes Leben betrifft? Bewegen wir uns zu unachtsam durch unsere tägliche Umwelt? Wie auch immer die Reaktionen ausfallen, ob sie zu einer größeren Einsicht führen oder nicht – in den meisten Fällen löst das „Pothole Gardening” in den Menschen etwas aus. Das ist es, was zählt. Gemüsebeete haben schon vielerorts brachliegende urbane Flächen erobert. Vielleicht geht ja von der Idee des „Pothole Gardening” eine neue grüne Revolution aus. Eine Revolution von unten, direkt vom Bürgersteig. Das wäre dann ja vielleicht doch ein bisschen subversiv.

Im September erscheint das Buch zum Thema „Pothole Gardening”. Zur Inspiration sei bis dahin dieser Blog empfohlen: thepotholegardener.com.

Sven Job