Bleibt alles anders

Die c/o pop 2012 war Showcase für neue Musik, die C’n'B lieferte die Hintergründe zur Lage der Branche. Ein kurzer Rückblick aus Köln, ein verstohlener Blick in eine Welt in Aufruhr.

Wir haben Platz genommen im Kreise des Business. Draußen ist das Wetter wechselhaft, drinnen brummelt ein dicker Mann, der zwei Stühle weiter sitzt. Er bleibt meistens unter der Hörschwelle, man versteht nicht viel. Ein Blogger? Von den lokalen Medien?

Die Themen hinter den Geräuschwänden des Musik-Biz sind seit vielen Jahren dieselben, weil auch die Krise seit vielen Jahren dieselbe geblieben ist. Wo sind die Konsumenten hin? Wie bekommen wir sie zurück? Wie versenken wir die Freibeuter des virtuellen Raumes, metaphorisch und argumentativ? Wie bekommen wir Journalisten auch morgen den Lohn, der seit gestern (geschweige heute) zum Leben reichen soll? Was tun wir mit all den neuen Hörgeräten und Megaphonen, die man uns für das Internet in die Hand gedrückt hat?


Erst mal aber c/o pop, da, wo es Musik gibt. Mittwochabend, im Stadtgarten. Es spielt Sun Glitters als DJ auf, der von munteren und elegischen Visuals begleitet wird: Sonne und Explosionen, verhuschte Gestalten und Konsorten. Prinzhorn Dance School begeistern im Anschluss mit straighten Melodien und funky Bass. Wir glauben, so was hat es vor Urzeiten schon mal gegeben, und damals hieß es Gang of Four. Doch die Engländer, die bei DFA veröffentlichen, dürfen die Nachfolge antreten.

Wie misst man Erfolg?

Es findet ein Panel statt, also Gespräch vor Publikum, auf der C’n'B. Ah, Social Media. Vorne sitzen u.a. ein Repräsentant eines Strom-Konzerns, ein Mensch von RTL moderiert, in der Mitte eine Dame. Was sie macht, wird nicht ganz deutlich, am Ende dann doch: Sie vermietet Workspace, digitale Sphären wohl inbegriffen. Wir sind hier am Internet dran. Rechts außen hat ein Anwalt Platz genommen, den diese Parallelwelt interessiert. Dort Recht erklären (über eigene YouTube-Kanäle, für jeden Laien verständlich) ist sein Anliegen, sein Erfolg. Alle tragen Anzug, selbstredend. Aber wie misst man nun Erfolg auf der anderen Seite? Strom-Konzern sagt: “Wir wollen die Menschen zufrieden machen.” Anwalt fügt hinzu: “Wenn man weiß, wie die Community tickt, kann man überschaubar anfangen.” Die Frau: “Wir messen in Likes und Retweets.” Easy!

“Wer hat Erfahrungen mit Shitstorms?” Eisernes Schweigen. Wirklich keiner? Dann müsse das wohl ein alleiniges RTL-Phänomen sein, mutmaßt der Moderator. Er arbeitet ja selbst dort. Ein schöner Lacher.

Ein Mann in einem pinken Hawaii-Hemd läuft vorüber. Er zieht einen Trolley hinter sich her. Forscher sagen, wir alle seien ohnehin nur 45 Minuten lang aufnahmefähig. Und wo man sich dann zerstreue, um den Kopf frei zu kriegen, dass sei jedem selbst überlassen. Ich checke währenddessen Facebook. Was hat er gesagt?


Kreativ sein. Radikal denken, heißt kreativ sein, so geht die Rechnung. Das nächste Panel möchte diesen Begriff umkreisen, ihn erklären. Was ist “radikales Denken”? Es soll gelten: “Autonomie, Selbstverwirklichung, radikales Denken.” Und: “Radikales Denken heißt, jegliche Selbstreferenzialität zu verlassen.” Ah, ja. Schöner und knapper ist da die Idee, Radikalheit sei schlicht Purheit. Ein Glas stilles Wasser, vielleicht? “Tun wir noch das Richtige?” fragt das Panel in der Überschrift. Das ist nun mal sehr schwer zu sagen, gerade im Moment.

c/o pop, what’s up?

Radikaler Ortswechsel. Auf dem Super Markt der c/o pop können schöne Menschen am Samstag schöne Dinge aus den Händen anderer schönen Menschen kaufen. Wie geil hier schon wieder alle aussehen. Am Abend müssen die Stände dann dem Red Bull Tourbus weichen, auf dessen Dach die Buben von Vierkanttretlager ein kostenloses Konzert geben. Indie-Pop aus der Norddeutschen Provinz, irgendwo zwischen Tomte, Kettcar und Element Of Crime.

Im Studio 672 irritieren The Suicide Of Western Culture als Vorband zu John Talabot etwas, zumindest wenn man sich von Visuals von Völkermord, Hinrichtungen und Massengräbern irritieren lässt. Die Fragen, ob man dazu jetzt tanzen darf und welches politisches Statement man damit setzt, haben jedoch kaum Zeit zur Entfaltung. Dazu werden die Bilder zu schnell von Seepferdchen und Sonnenaufgängen abgelöst. Der Permanent-Vacation-Act John Talabot aus Barcelona ist eindeutiger und schießt ein grooviges Disco-House-Set in die Menge.


Am Ende bleibt ein radikales Gedankenspiel im Raum: “Was würdest Du mit einer, sagen wir, sechsstelligen Summe Geld anstellen?” Die Antwort eines Teilnehmers: “Ich würde x Menschen das Geld geben, damit sie ihren Job kündigen.” Klingt nach einem konsequenten Konzept für das Business mit der Musik. Vielleicht ist so, oder so ähnlich, das alles auch schon passiert. Im Internet dürfen dann alle noch mal anfangen, gewissermaßen befreit von ihren Altlasten. Nur getanzt wird immer noch analog.

Florian Tomaszewski und Sven Job