Auf dem Parteitag der Piraten: Role Play Convention 2012

Es ist Anfang Mai, nun ist der Frühling da. Das heißeste Thema der Saison sind die Piraten, und wir sind mittendrin. Verkleidet als Journalisten, bei Menschen, die sich mit ihren Kostümen noch mehr Mühe gegeben haben. Freibeuterei, neue Koalitionen, zehn Prozent plus? Als sich der Tag, den wir auf der Role Play Convention Cologne 2012 zugebracht haben, dem Ende zuneigt, werden wir mehr wissen. Lassen wir uns eines Besseren belehren.

Wir sind nicht auf dem Parteitag einer so transparenten wie planlosen Partei gelandet, die im Moment wahlweise für Aufruhr, Begeisterung oder Panik sorgt. Im Gegenteil: Wir sind zu Gast bei denjenigen, die ihre eigenen komplexen Regelwerken folgen, bei denen, die ganz genau wissen, was sie wollen und wofür sie stehen. Ein erlauchter Kreis, der auch ein bisschen verschwörerisch wirkt: Rollenspieler, Hardcore-Gamer, Mittelalter-Fans und Schieß-Sportler. Elfen und Orks, Brettspieler, LAPD und kleine Manga-Mädchen. Die Role Play Convention 2012 ist endlich da und sie findet statt in Köln, Stadt der Verkleidung. Es ist die Gipfelkonferenz der Nerds und Geeks, der Kostümierten und Fantasievollen.

Im Vorhinein hatten wir uns die Überschriften zurechtgelegt: “Day Of The Walking Dead”. “Wenn das Kellerkind zweimal klingelt”. “Zwerg küsst Amazone”. “Wenn RTL zweimal klingelt”. Als wir dann in die Hallen eintreten, ist es erst einmal wie auf allen Messen: sehr laut. Es dröhnt. So eine Veranstaltung dient in erster Linie der Verständigung der Fans untereinander, die sich einmal im Jahr die Möglichkeit geben, zusammen zu kommen und sich auf Augenhöhe zu begegnen. Zum einen. Und andererseits ist es natürlich das Ziel, Vorurteile, wie es sie in der Öffentlichkeit immer noch gibt, abzubauen. Der Rollenspieler, ein dunkles Geschöpf in seinem Keller, der gerne Waffen hortet und keine Freundin hat. Die Medien helfen kräftig mit, diese Vorstellungen zu bestätigen, als sie denn abzubauen. Dies zeigte zuletzt ein großer Privatsender mit einem Dreiminutenbericht von der Computerspielmesse. Muffig und dunkel sind Hobby und Protagonisten dieser Szene? Stimmt ja eigentlich gar nicht! Die Halle, die wir betreten sagt erst mal eher: doch.

Früher war alles besser

Hier sind alle: Gothics, Cyberpunks, Brettspieler, J. R. R. Tolkien-Apologeten, Freibeuter und jene, die einfach gerne Hammel am Spieß essen. Einige laufen im Kostüm herum, es wird in der Szene als “Cosplaying” bezeichnet. Bei den Temperaturen, die im Mai auch Köln erreicht haben, haben da die einen Glück, die anderen Pech mit ihrer Montur, die sie sich irgendwann mal ausgesucht haben – Frauen tragen ihre Rubensfigur spazieren oder ihren Minirock. Männer tragen Vollkörperuniform aus Plastik oder, wenn es ganz schlimm kommt, verkörpern das Zotteltier aus Star Wars. Du kannst Dir deine Herkunft nicht aussuchen, Junge. So nah am Original dran zu sein wie möglich – darum geht es hier vielen. Es ist das Repräsentieren, das Nachspielen alter Zeiten oder imaginierter besserer Welten. Was an denen besser ist? Früher war einfacher. Eindeutiger. Natürlich liegt der Reiz zuvorderst auch im Ausbruch aus unserer Zeit, die so komplex, nervenaufreibend, und ja, auch langweilig ist. Eskapismus hat viele Gesichter, und sie sind aufwendig geschminkt.

Im Trüben fischen

“Dark Waters” ist das Motto dieser Veranstaltung: “im Trüben fischen” also unsere Mission. Zunächst begegnen wir einem Menschenschlag, mit dem wir hier nun nicht gerechnet hätten, zwischen Bardenspiel, High-Tech und Zauberei: Cops. Was hat der LAPD in dieser Sphäre der Andersartigen verloren? Wieder: Nachspielen ist alles. Ein leicht untersetzter Mann mittleren Alters erklärt, dass es um Respekt für eine der besten Polizeitruppen der Welt gehe. Die Waffen, Uniformen und Dienstfahrzeuge sehen bestechend echt aus, und so müssen wir diesem Berufsethos dann auch Respekt zollen. Etwas anderes traut man sich aber ohnehin nicht. Ob dieser spezielle Club, rekrutiert aus Hobby-Bullen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum, denn auch auf Veranstaltungen zusammenkomme, um etwa die L.A. Riots nachzustellen? Nein, aber man spiele schon mal die “Party-Crasher”, die auf (echten) Hochzeiten dem ausgelassenen Treiben einen (falschen) Riegel vorschieben. Auf Bestellung der Gastgeber. Dann lachen alle, der Schreck war echt. Diese Hochzeit wird man nie vergessen.

Die härtesten Jungs der Welt

Einen Stand weiter ist eine Gemeinschaft von Kostümträgern noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Aber sicher in der Mitte der öffentlichen Berichterstattung: Erwachsene, hauptsächlich, oder wie hier: ausschließlich, Männer, die in ihrer Freizeit mit Plastikgeschossen aufeinander schießen und Uniformen der U.S. Marines tragen. Sicher müsse man da Aufklärungsarbeit leisten, und auch die Plastikkugeln können schon weh tun. Es gehe aber um die authentische Erfahrung, nicht um Verherrlichung von was auch immer: der Schutzmacht des Westens, von Geballer und Dreck, vom stumpf in der Gegend stehen in Tarnfarben, Sonnenbrille und geladener Knarre. Plötzlich kommen Piraten herein gestürmt, immerhin Motiv dieser Veranstaltung (“Dark Waters”!) und bringen den Einsatzstand in ihre Gewalt. Kurz scheint die Welt draußen vor Mogadischu nicht weit entfernt. Einen Moment lang.

“Orks unter Artenschutz stellen”

Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal wird uns eines der unzähligen Spiele erklärt, die hier von einer ganz anderen Fraktion gespielt werden: an Tischen, mit kleinen Plastikfiguren, in Zivilkleidung, sozusagen: zivilisiert. Es werden also Orks abgeschlachtet, so viel haben wir mittlerweile verstanden und fragen nach. So viele Orks wie hier getötet werden, da müsse man die eigentlich schon unter Artenschutz stellen, lautet die Antwort. Das Schöne aber ist ja: Von den Orks sind unendlich viele da. Es hört niemals auf, man kann immer weiterspielen, Mom und Dad kommen nie wieder rein, auf dass endlich das Licht ausgemacht werde. Im Gegenteil; Hier und anderswo sind Mom und Dad mit dabei, bringen ihre Kinder mit, wenn ganz in Verkleidung einer vergangenen Epoche nachgeträumt wird und alle tragen Corsagen und Fracks wie in den 1920er Jahren. Trinken Met, schauen den Gauklern zu, schlagen sich die Rüben ein mit Morgensternen aus Schaumstoff.

Zurück aus den eigenen Tagträumen zu diesen Tagträumen; in präzisen Darstellungen sind auf den Tischen Kampfszenarien und Schlachtfelder errichtet worden: grün und grau, zweiter Weltkrieg, fünfter Weltkrieg, der Kampf um den Ring undsoweiter. Genau ist festgelegt, wie weit die Akteure voranschreiten dürfen, gemessen wird mit dem Maßband auf den Millimeter genau. Vielleicht hat ja auch deswegen all das so viele Anhänger gefunden unter den Deutschen: Die Spiele sind einfach furchtbar präzise, in gewisser Weise auch kalkulierbar.

Nicht alles von dem, was hier zu sehen ist, mag die Zukunft sein. Mehrheitsfähig ist aber schon einiges im Raum der zweiten Identität und aufwendiger Freizeitgestaltung. Ob das Spiel nun digital oder auf einem Acker im Märkischen Kreis stattfindet – zusammen kommt dabei vielerlei: Umsatz, verbrachte Stunden, Identifikation.

Wir blicken uns um. Hier ist so viel Kraft, Grazie, Intelligenz, Fantasie. Und hier gibt es mehr Maßbänder als auf der Erotikmesse Venus. Andererseits: So egalitär geht es hier zu, so realitätsfern. Ein Fuß steht in der Zukunft, der andere im Vorgestern. Vielleicht sind wir ja doch auf dem Parteitag der Piraten gelandet. Es würde einiges erklären.

Sven Job